Was ist
Live-Shopping? Seine Unmittelbarkeit
und sein Komfort erinnern an das traditionelle Teleshopping. Seit Anfang der
2000er Jahre hat sich das Einkaufen von zu Hause etabliert und verspricht
Großes zum kleinen Preis. In TV-Shows werden Produkte ausführlich vorgestellt,
erläutert, ausprobiert und beworben, die die Kundinnen und Kunden dann online
oder per Telefon bestellen können. Das Ganze ist als Unterhaltungsformat
gestaltet und mit bis ins Dubiose gehenden Angeboten gewürzt.
Nichts anderes bietet Live-Shopping als Update der TV-Verkaufsshow in der digitalen Variante. Über die unternehmenseigene Website, Shop oder App, über Live-Streaming-Plattformen, wie Bambuser oder GOLIVE, oder im Social Commerce per Livestream auf Social Media vertreiben Händlerinnen und Händler jetzt ihre Produkte live. Auch hier geht es um Komfort, Unterhaltung und zeitlich begrenzte Rabattaktionen. Dabei ist es jedoch deutlich interaktiver. Während eine Person – meist eine Expertin oder ein Experte, Influencer oder Key-Opinion-Leader – das Produkt präsentiert, können Interessierte Kommentare oder Likes loswerden und Fragen in Echtzeit stellen. Es entwickelt sich eine Art Verkaufsshow, in der die Zielgruppe unterhalten sowie informiert wird und sich aktiv einbringen kann. Die Bestellung ist direkt durch die Plattform oder eine Verlinkung zum Online-Shop möglich.
Ursprünglich kommt der Trend aus China. Dort
feierte er 2016 durch Alibaba mit seiner Plattform „Taobao Live“ im
Zuge des Single’s Day, einem Shopping Event ähnlich dem Black Friday, seinen
ersten großen Erfolg, als der Stream nach Angaben der Unternehmensberatung
McKinsey Umsätze in Milliardenhöhe generierte. Doch auch Social Shopping zieht
die Kundschaft. 2022 belief sich das Gross Merchandise Volume des
chinesischen TikTok-Äquivalents Douyin auf rund 208 Milliarden US-Dollar. Dazu
hat die erfolgreiche Live-Shopping-Funktion maßgeblich beigetragen.
Mit der Pandemie schwappte der Trend auch in die USA und E-Commerce-Plattformen wie Amazon sprangen mit „Amazon Live“ auf den Live-Shopping-Zug auf. 2020 stärkte dann die Einführung der chinesischen App „OOOOO“, eine Livestreaming-Plattform für Video Commerce, auf dem Markt in Großbritannien auch auf dieser Seite des Ozeans das Interesse für Live-Shopping. Die App führte in UK sogar die Spitze der Download-Charts für Apps an. Als Ende 2022 jedoch eine Testphase für das Format auf TikTok im Vereinigten Königreich startete, war die Resonanz bei Nutzerinnen und Nutzern sehr verhalten und weitere Expansionspläne nach Deutschland und in die USA wurden auch für andere Social-Media-Plattformen verworfen.
Wie sieht die Situation hierzulande aus? Auch
einige deutsche Handelsunternehmen investieren zunehmend in den Hype. Als einer
der ersten launchte die Parfümeriekette Douglas im März 2020 ihren Kanal
„Douglas Live – The Live Channel For Beauty“.
Regelmäßig liefern die Live-Shows auf der Website oder in der App Expertenwissen zu Produkten, Skincare und Parfums. Gleichzeitig kann man sich mit Redakteurinnen oder Redakteuren sowie Markenbotschafterinnen oder -botschaftern im Livechat austauschen. Laut Angaben des Unternehmens erreichen die Videos in der Spitze eine Conversion-Rate von bis zu 40 Prozent (Stand: 2022).
Der Onlinemarktplatz OTTO ist mit seinem OTTO Live-Shopping samt einer eigens entwickelten Software seit 2021 in das neue Konzept eingestiegen – und das nicht erfolglos. Die 20-minütigen Shows sind im Shop in der Mediathek zu finden und laufen um 19.00 Uhr abends für etwa 45 Minuten. Nach eigenen Angaben erreicht OTTO pro Stream bis zu 60.000 Live-Zuschauerinnen und -Zuschauer (Stand: 2023). Geworben und informiert wird über neue Lifestyle- und Wohntrends, beliebte Marken, nachhaltige Kollektionen und Ähnliches. Tchibo, Thalia, IKEA, dm (nur in der App), Lidl und Galeria bieten inzwischen ebenso das Shopping-Erlebnis mit Entertainment-Faktor. Auch für Elektro-Riese MediaMarktSaturn ist das Live-Shopping eine feste Media-Maßnahme und erreicht nach eigener Aussage bis zu 250.000 Menschen pro Show (Stand: 2023).
Obwohl diese Formate bisher recht erfolgreich funktionieren, lässt der Anklang bei der breiten Masse auf sich warten. Laut einer Statista-Umfrage (2023) gaben 42 Prozent der befragten Deutschen an, dass nichts sie zum Ausprobieren von Live-Shopping bewegen könne. Ein Viertel der Befragten würde Live-Shopping ausprobieren, wenn dort für sie interessante Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden. 23 Prozent der Befragten könnten exklusive Rabatte animieren, Live-Shopping auszuprobieren.
In gewisser Weise verbindet das Live-Shopping die Vorteile des Online- und Offline-Shoppings:
Ich kann bequem von zu Hause einkaufen, erhalte jedoch die fachkundige Beratung des Personals und die direkte Interaktion aus dem Geschäft. Besonders bei erklärungsbedürftigen Produkten wird das hohe Informationsbedürfnis der Käuferinnen und Käufer so gestillt. Gleichzeitig erlebt die Kundschaft eine aufregende Eventatmosphäre, Unterhaltung, das Gefühl eines kollektiven Konsums und ein gesellschaftliches Miteinander, das mitreißt.
Einer Marke erlaubt das Live-Shopping-Erlebnis, sich nahbar und authentisch zu präsentieren und schnell eine enge Bindung zu Nutzerinnen und Nutzern aufzubauen. Das Format in seiner Unmittelbarkeit ermöglicht zudem eine starke Neukundenaktivierung, indem es Informationslücken zügig schließt und Content mit Mehrwert sowie Werbeaktionen und Entertainment miteinander verbindet.
Im Vergleich zum herkömmlichen E-Commerce hat es damit den Vorteil, eine Kaufentscheidung spontan und aus dem Impuls heraus zu beeinflussen. Das trifft vor allem auf die jüngere Zielgruppe unter 30 zu, die den vorstellenden Key-Opinion-Leadern und Influencern vertraut und die entsprechenden Plattformen, besonders beim Social Commerce, bereits kennt. Neben dem vorhandenen Vertrauen sorgt auch das Ausprobieren in Echtzeit sowie das Medium des Bewegtbilds selbst, das Nutzerinteresse zieht, für eine erhöhte Kaufwahrscheinlichkeit.
Alles nur Show? In China hat sich Live-Shopping zu einem aufregenden, kundenzentrierten Erlebnis entwickelt. Weniger zählen die Preisvergleiche als vielmehr die Produktvorstellungen und Erklärungen der Key-Opinion-Leader und Influencer. Die Emotionalisierung des Kaufprozesses in den Live-Streams sorgt bei nicht wenigen für moralische Bedenken. Expertinnen und Experten warnen vor unseriösen Angeboten, bei denen Produkte im Vorhinein teurer gemacht werden, um dann die Kundschaft mit angeblich starken Schein-Rabattaktionen zu locken. Angebote wie diese bedrohen langfristig die Glaubwürdigkeit des Formats.
Für Unternehmen ist das Einkaufen in Echtzeit außerdem mit teils hohen Kosten verbunden – besonders bei kleineren Handelsunternehmen. Dabei kann die Nutzung der unternehmenseigenen Website, App oder sogar Software, wie im Fall von OTTO, den Anbieter kostenunabhängiger von fremden Plattformen machen und auch den direkten Kontakt zur Kundschaft stärken. Die Software erfordert teilweise dennoch einen viel größeren Investitionsbedarf als beispielsweise im Ursprungsland China, die Publikumszahlen sind hier dafür vergleichsweise um einiges kleiner. Denn lediglich acht Prozent der deutschen Bevölkerung haben laut einer Umfrage (Quelle: Simon-Kucher & Partners, 2023) Live-Shopping bereits ausprobiert.
Lediglich acht Prozent der deutschen Bevölkerung haben laut einer Umfrage Live-Shopping bereits ausprobiert.
Während Live-Shopping auf den sozialen Medien in China horrende Umsätze einbringt, konnte es sich bisher in unseren Breiten nicht durchsetzen. Das hat unterschiedliche Gründe. Unternehmensseitig konzentrieren sich Anbieter häufig aus finanziellen Gründen auf die Kernfunktionen der Anwendungen. Konsumentenseitig ziehen eher kürzere Videos Nutzerinnen und Nutzer. Facebook, Instagram und TikTok stellten wegen schwacher Rückmeldungen und Prognosen ihre Live-Shopping-Funktionen vorerst ein.
Im Vergleich zum chinesischen Markt steht
Deutschland in Sachen Live-Shopping noch deutlich am Anfang. Zwar sind die
Hürden für große Händler mit Nähe zum E-Commerce geringer und die Umsetzung von
Livestream-Angeboten daher häufiger, dennoch besteht hier noch Luft nach oben.
Viele Faktoren sind beeinflussbar, wie der Ausbau des 5G Netzes. Denn nicht
zuletzt die mangelnde digitale Infrastruktur in ländlichen Gebieten und die unzuverlässige
Internetverbindung in Deutschland sind bei der Nutzung von Streams hinderlich.
Expertinnen und Experten zufolge, birgt der deutsche Markt jedoch durchaus
Wachstumspotenzial. Ein Trend, den es im Auge zu behalten gilt.
Ihr denkt darüber nach, Shopping in Echtzeit
bei Euch einzuführen? Diese Punkte solltet Ihr beachten:
• Produkt: Ist mein Produkt für eine Präsentation im Livestream geeignet?
• Zielgruppe: Wen möchte ich erreichen?
• Kanäle: Wo befindet sich meine Zielgruppe?
• Gesichter: Welche Influencer haben eine Community, die zu meiner Zielgruppe passt?
• Technik: Welche Voraussetzungen brauche ich für den Livestream?
• Partnerinnen und Partner: Welche Partnerinnen und Partner benötige ich für die Umsetzung?